VERLIEBTSEIN IST EIN ECHTES KÖRPER-RISIKO

Die einzige Spezies, die noch schwerer zu ertragen ist als lieblose Menschen oder liebeskranke Hascherl, sind frisch Verknallte. Sie sind nicht zurechnungsfähig, essen nicht, schlafen nicht, kichern ohne Grund und können kaum einen klaren Gedanken fassen.
Bis vorletzte Woche glaubte ich, mein Leben einigermaßen im Griff zu haben und mich selbst gut zu kennen. Ich wusste, was ich mag: beispielsweise Ananassaft, den Geruch von Sonnencreme, die Zeitung am Morgen und die Spätvorstellung im Kino, und ebenso was nicht, darunter unbedingt: Achselschweiß, Leberwurst, notorische Frühaufsteher und Stefan Raab. Mein Leben plätscherte dahin, mein Herz schlug gleichmäßig, und meine Sehnsucht hatte kein Gesicht, sondern eine Richtung: ab auf die Seychellen und rein ins überteuerte rote Kleid.
Tja, alles Schnee von gestern, inzwischen ist mein kaltes Solistenherz aufgetaut, ach was: geschmolzen, und meine Präferenzen sind neuerdings so simpel wie bestürzend: Ich mag alles, was er ist. Ich möchte an seiner Seite einschlafen und aufwachen. Der Rest ist mir egal.
In seligen Prä-Mann-Zeiten dachte ich oft an den egomanischen Singlekindskopf aus der Nick-Hornby-Verfilmung „About a Boy". Dieser rechtfertigt seinen Junggesellenstatus in etwa so: „Jeder ist eine Insel. Wir leben in einem Inselzeitalter. Ich halte mich selbst für ziemlich cool. Ich denke, ich bin Ibiza."
Ibiza! Obwohl ich weitaus weniger Geld besitze und vom Glamourfaktor eher Baltrum gleiche, konnte ich den von Hugh Grant hinreißend gespielten Schnösel bislang gut verstehen. Doch genau so, wie sich Grant im Laufe des Films aufgrund von Herzerweichung in einen Vorzeigepapa wandelt, ist auch bei mir seit neustem Schluss mit lustig und jedweden Inselvergleichen. Stattdessen ähnele ich nun Venedig. Klingt erstmal gut, hat aber einen eindeutigen Nachteil. Zwar kann ich in Punkto Romantik nun spielend mit der Lagunenstadt mithalten, doch unsere vorherrschende Gemeinsamkeit ist eine andere: Wie Venedig bin auch ich dem Untergang geweiht.
Denn mein Zustand ist höchst bedenklich. Das Amüsante und gleichzeitig Unerträgliche am frischen Verliebtsein ist: Alle Klischees darüber sind wahr. Alle. Ich kann nicht mehr schlafen, mag nicht mehr essen, und meine Konzentration ist mir gemeinsam mit jedweder Contenance abhanden gekommen. Ich bin definitiv nicht zurechnungsfähig, renne vor lauter Konfusion ständig beinah gegen Laternenpfeiler, vergesse meine EC-Karten-Pin und den Geburtstag meiner eigenen Schwester.
Zudem spaziere ich pfeifend durch die Straßen, summe an der Supermarktkasse tatsächlich unerträgliche Ohrwürmer wie „Bleeding Love" – und, die Krönung: Es ist mir nicht mal peinlich. Scham ist keine Kategorie für eine Frau, die entweder debil vor sich hingrinst oder wie ein hypnotisiertes Kaninchen ihr Handy anstarrt und jeden Anrufer verabscheut, der nicht er ist. Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Es ist schrecklich und wunderbar zugleich.
Falls Ihr, liebe Leser, an dieser Stelle schon maßlos gelangweilt stöht, wo bleibt die Story, wo der Drive, wer ist denn nun dieser Mann und wo führt das alles hin – dann kann ich Euch leider nur vertrösten. Im Volksmund heißt es: Die glücklichsten Zeiten der Menschheit sind die leeren Blätter im Buch der Geschichte. Leuchtet mir vollkommen ein. Begeistertsein ist ein 24-Stunden Job.
Da alles noch so frisch ist, hoffe ich, dass Ihr mir das sibyllinische Getue verzeiht, denn: Verliebte wollen zwar, dass die ganze Welt von ihrem Glück erfährt, doch erstens kann man sich dabei leicht zum Deppen machen – wie der komplett durchgeknallte Tom Cruise bewies, der einst frisch verknallt auf Oprah Winfrey's Sofa rumhopste. Zweitens: Wer weiß schon, was nächste Woche sein wird? Vielleicht ist dann schon wieder alles vorbei? Und ich berichte Euch direkt aus der Kummerhölle? Egal, was kommt, bin ich fest entschlossen, mich nächstes Mal den unzähligen Dating-Spielchen und Regeln zu widmen. Denn die Phase nach dem ersten Kennenlernen ist ein Seiltanz zwischen Himmel und Hölle.
Verliebtsein ist zwar aufregend, doch zugleich auch ein echtes körperliches (und seelisches)Risiko. Man ist verletzbar und unsicher, aber keiner, vor allem nicht der eine, soll es merken – was natürlich selten klappt, dafür aber um so öfter für Stresspickel sorgt.
Für heute verabschiede ich mich von Euch mit einem feinen Zitat, welches ich meinem Freund Luis verdanke. Vor ein paar Wochen saß ich, damals noch unverliebt, mit ihm bei Bier und der Frage, wie der Mensch sein muss, der unser Herz zum Tanzen bringt.
Luis ist schön, daher verdorben, zudem noch sehr klug und daher verloren – das ist sein Fluch. Heimlich ist Luis – wie fast alle Don Juans – ein hoffnungsloser Romantiker. „Hanna", sagte er an diesem Abend, „ich weiß, was du für einen Typen suchst. Du willst den mit dem goldenen Hut." Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte, aber ich habe ein Faible für alles Glänzende, also sagte ich: „Stimmt."
In derselben Nacht schickte mir Luis eine Mail. Betreff: Jump-Jump! Ich öffnete sie und dankte einmal mehr dem Himmel, dass ich einen Freund wie ihn habe. Luis kennt mich besser als jeder andere. Er hatte mir das Gedicht geschickt, welches dem wunderbaren Roman „Der Große Gatsby" vorangestellt ist:
„Dann trag den goldenen Hut, falls sie das rührt;
Falls du hoch springen kannst, spring auch für sie,
Bis sie ruft: "Geliebter, goldbehüteter , hoch springender Geliebter,
Ich muss dich haben!"
Dazu schrieb er: „So einer, sonst keiner! Dein Luis."
Als ich zwei Wochen später dem Mann begegnete, wusste ich sofort, dass die Zeit des Suchens vorbei war. Er behielt zwar die Bodenhaftung und auch der goldene Hut fehlte, doch seine blonden Haare schimmerten in der Sonne und er lächelte wie ein Honigkuchenpferd, als er seine Nummer auf meinen Arm schrieb. Und ich? Glücklicherweise verkniff ich mir das: „Ich muss dich haben!" Doch innerlich bin ich fast zersprungen vor Glück. Wir sprechen uns wieder, wenn ich mich gefangen habe....
...nicht von mir, sondern von einer Kolumnistin....
lonely rider woman - 13. Mai, 22:41
na geh,